Mittwoch, 1. Juni 2011

Barschränke unserer Väter: Trinkkultur der 70er

Als ich für den Text hier recherchierte, stieß ich relativ schnell auf ein nicht zu verschweigendes Problem: Alle, die ich als Trinkzeugen befragen konnte, gehörten - und gehören meist immer noch - einer bestimmten sozialen Schicht an, nennen wir sie mal vorsichtshalber obere Mittelschicht. Natürlich wirkt sich das sehr stark auf die Schilderung der damaligen Trinkkultur aus und ist eventuell nicht wirklich repräsentativ. Aber andererseits ... wen juckt's? Wenn allerdings jemand noch aus anderer Sicht etwas zum Thema beisteuern kann, dann wäre mir das sehr willkommen ... Email an mich reicht.



Also, in den Siebzigern war ich noch sehr klein, deswegen kann ich mich auf meine Erinnerungen nur bedingt verlassen. Mein Vater war im diplomatischen Dienst im Dunstkreis von EU (damals noch EG) und NATO in Brüssel. Ich erinnere mich nur sehr unscharf an die Abende, an denen meine Eltern Besuch hatten und ich und der Babysitter oben an der Treppe saßen und zuhörten, wie die Gäste eintrafen. Irgendwie habe ich so eine Idee von Cocktailkleidchen und dunklen Anzügen ... und unheimlich viel Zigarettenrauch (Dunhill!) ... jedenfalls haben meine Eltern diese Erinnerungen voll bestätigt:

Es war die große Zeit der Haus- und Stehpartys, und zumindest in diesen Kreisen war es üblich, mehrmals im Jahr eine zu geben, etwas entspannter und intimer für Freunde und Nachbarn, relativ formell (Dresscode: Anzug bei Herren, Kleid bei Damen) für Kollegen und Gäste. Es wurde aufgetischt, was Küche und Keller hergaben. Leute wie meine Eltern leisteten sich für die "offiziellen" Veranstaltungen einen Traiteur, sprich Partyservice. Auch wenn es mir ja bekanntlich mehr ums Trinken geht, finde ich diesen authentischen Auszug aus dem Rezeptbuch meiner Mutter sehr spannend; sie beschreibt darin die Teile eines kalten Buffets, welches sie für ein "geselliges Beisammensein unter Freunden", mit ca. 15 Gästen bereitstellte: Hühnersalat, Waldorfsalat, gekochter Schinken mit Krabbenfüllung, Eier mit Lachscreme und mit Currycreme, Birne mit Preiselbeerfüllung, Pfirsich mit Frischkäsefüllung, Käseplatte, Tomatencocktail, Sellerieraspel mit Kassler, Schinkenröllchen (Parma) mit Spargel, Kalbfleisch mit Meerrettichsoße ... und natürlich Brot, Cracker, und so weiter. Meine Herren, ich bin auf die Liste für die "wichtigen, offiziellen" Partys gespannt.

Was das Trinken anbelangte, war es üblich, für die zu erwartenden internationalen Gäste auch internationale Getränke bereitzuhalten: Der Barschrank meines Vaters umfasste in den siebziger Jahren daher ständig folgende Produkte: Gin (Beefeater) für die Briten, meistens im Gin-Tonic; Scotch (Ballantine's) für Briten, alle anderen und für Alltags; Bourbon/Tennessee Whisky (Jack Daniel's Black Label) für die Amerikaner und Canadian Club für ... naja, die Canucks. Weiterhin amerikanischen Wodka (Smirnoff); russischer Wodka war wohl während des Kalten Krieges etwas risqué. Beck's Bier gab es Alltags und auf Partys; die französischen Gäste mochten gerne mal einen Pfälzer Weißwein, angeblich weil die französischen Weißweine der Siebziger mies waren (ich muss mich da auf Berichtetes verlassen - mit Wein kenne ich mich nicht sehr gut aus). Für den Alltag - meine Eltern erzählten mir, sie hätten auch "unter sich" bzw. "chez soi" (wir waren ja in Belgien) jeden Mittag ein Aperitifchen genommen, ein Verhalten, welches heute wohl die Bundesdrogenbeauftragte auf den Plan rufen würde - gab es dann noch als Appetitanreger Campari (mit Orange) oder Americano.

In kleiner Gesellschaft mixte der Hausherr die Drinks (Gin Tonic, Bloody Mary) selbst, in "großer Gesellschaft" wurde dies vom Traiteur (s. oben) miterledigt, der dann in der Regel einen Bartender mitbrachte.

Zur Beschaffung noch zwei interessante Anekdoten: Als Mitglied des Diplomatischen Corps war es möglich, Spirituosen zoll- und steuerfrei einzukaufen. Zu diesem Zweck begab sich mein Vater alle paar Wochen zum damaligen Schiffsausrüster Chacalli (in Antwerpen, der Webseite nach zu urteilen heute eher ein Weinversand) und holte kräftig ein, musste jedoch jedes Mal irgendeine Bescheinigung vom Zoll vorlegen. Warum beim Schiffsausrüster? Nun, weil dieser die im Hafen liegenden Schiffe ebenfalls zollfrei belieferten, mit allem, was der Seemann so brauchte ... "ja, ich nehme dann noch drei Enterhaken, zwei Taue, einen Papageien, eine Augenklappe, vier Entermesser - oh, und eine Kiste Burgunder bitte."


Die andere Anekdote ist, dass das Auswärtige Amt großen Wert darauf legte, dass seine Diplomaten möglichst, auch bei Feiern, die heimischen Produkte promoten sollten. So gab es dann halt Beck's Bier und Pfälzer Wein - das Ministerium übernahm dafür aber auch bis zu 90% des Anschaffungspreises, natürlich auch nur mit Papierkram verbunden, aber immerhin.

In den Achtzigern dann veränderte sich einiges: Die Schultern wurden breiter, die Haare bunter, mein Vater stieg von Ballantine's auf Famous Grouse um, und ich begann mit Alkohol zu experimentieren. Aber das ist eine andere Geschichte

(Erinnerungen von Jan B., aufgezeichnet von Tomas A.)

Der nächste planmäßige Beitrag erscheint am 6. Juni 2011. Thema ist die Verkostung des Statesman Scotch Whisky (ALDI Nord).

Picture Credits: "Brussels Skyline": PF; "Flandria Haven": Tourismusbehörde Antwerpen.

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