Der Februarmorgen in meiner alten Heimat Brüssel war - wie zu erwarten - eher nass und kalt. Meine Frau und mich hatte es dennoch nicht davon abgehalten, einen recht anspruchsvollen Morgenspaziergang entlang der Avenue Louise, über die Abtei Ter Kameren bis hin zu den Teichen von Elsene/Ixelles zu machen. Auch hatten wir bereits einen der berühmten Pfefferminztees im Café Belga verdrückt, aber irgendetwas brauchte ich jetzt doch noch.
Passenderweise fiel mir dabei ein, dass Chez Moeder Lambic ja vor kurzem eine Dependance am Place Fontainas, also nicht weit weg vom Südbahnhof, gegründet hatte, die fußläufiger etwas einfacher zu erreichen war als das Original in der Rue de Savoie. Also nichts wie hin und eine kleine Erfrischung genossen ... die Kneipe war zu dieser frühen Tageszeit (11 Uhr, gerade geöffnet) noch erfrischend leer und frei von sonstigen Touristen, so dass meine Frau und ich die einzigen Gäste waren. Das Ambiente stellte sich als sehr modern aber einigermaßen gemütlich heraus, bildete jedoch einen gewissen Kontrast zum Stammhaus, das eher den Charme einer altehrwürdigen Bierhalle verströmt. Sei's drum, der Service konzentrierte sich einzig und alleine auf uns, also konnten wir bereits nach 10 Minuten eine erste Bestellung abgeben ;-)
Bild: TAQ
Nun, wenn ich im Moeder Lambic bin, dann trinke ich natürlich regionale und lokale Biere, vorzugsweise Lambiek, bzw. dessen Abarten. Lambiek ist das Brüsseler Bier par excellence. Es entsteht durch spontane Gärung, ausgelöst durch die Hefepilze Brettanomyces bruxellensis bzw. Brettanomyces lambicus, welche früher nur im Tal der Senne (= in und um Brüssel) vorkamen, so dass lange Zeit ein Lambiek nur in dieser Gegend hergestellt werden konnte ... denn der Hefepilz muss in der Umgebungsluft der Brauerei vorhanden sein; er kann nicht "aus der Dose" zugefügt werden. Nach dem Brauprozess gärt traditionelles Lambiek in Eichenholzfässern (oft uralten Weinfässern) mehrere Jahre lang weiter, wobei das entstehende CO2 durch die Holzwände entweicht. Daher ist naturbelassenes Lambiek praktisch kohlensäurefrei. Es gibt einige Brauereien, die unverschnittenes Lambiek an den Endverbraucher abgeben, aber dieser Trunk ist - zugegebenermaßen - nur etwas für jemanden, der damit aufgewachsen ist (so wie ich) oder für jemanden, der unbedingt mal etwas neues probieren möchte, denn das Produkt ist nicht nur fast platt, es ist auch sehr holzig (wenn traditionell im Eichenfass vergoren) und extrem sauer.
Das meiste Lambiek wird zu etwas gefälligeren Kreationen verarbeitet, so wird zum Beispiel die traditionelle Geuze aus alten und jungen Lambieks verschnitten (der Fachmann spricht bei Geuze vom "Stechen"). Anders als im deutschen Wikipedia-Artikel behauptet, hat der Name Geuze nichts mit der mitteldeutschen Gose zu tun sondern der Name kommt von einer der ersten Produktionsstätten des 19. Jahrhunderts in der Brüsseler Geuzestraat. Die Mischung der verschiedenen Lambieks gärt in der Flasche weiter (genau so wie es auch Champagner tut, die erste Geuze wurde tatsächlich auch in Champagnerflaschen abgefüllt) und wird daher klarer und sprudelnder als reines Lambiek. Dennoch behält auch die Geuze einen unnachahmlichen süß-säuerlichen Charakter, der nicht jedermanns Sache ist. Sie lässt sich auch hervorragend für bestimmte Gerichte, insbesondere nach Art des Stoofvlees, verwenden.
Zwei andere Arten der Aufbereitung von Lambiek sind a) das Versetzen mit Zucker oder Süßstoff (ganz früher Melasse bzw. Rübensirup); somit erhält man das sogenannte Faro, welches aufgrund seines relativ geringen Alkoholgehalts und seiner relativen Süße einst als Getränk für Kinder und Frauen galt sowie b) das Mischen mit Kirschen und/oder Kirschsaft, wodurch die sehr viel bekannteren Krieks entstehen. In dieser Kategorie unterscheidet man wiederum zwischen "modernen" und "traditionellen" Krieks, aber dazu ein anderes Mal mehr. Für die Verkostung heute wählte ich jeweils ein Faro und ein Kriek. Zum Kriek ist zu sagen, dass es nicht in Brüssel sondern in Wevelgem hergestellt wird und außer Lambiek auch rotbraunes Bier aus Westflandern enthält; es ist also kein ganz traditionelles Produkt.
Bild: TAQ
Art und Herkunft: Faro aus Lambiek, Belgien (Brüssel)
Aussehen und Aroma: Das Bier ist sehr kohlensäurearm und trüb. Kein Schaum. Farblich eher dunkel und rötlich-braun. Ein sehr würzig-säuerlicher Geruch nach Erbsensuppe mit Essig.
Geschmack: Wie nicht anders zu erwarten sehr starke süß-säuerliche Eindrücke. Frische und fruchtige Noten wie Apfel und Rhabarber im Mittelteil. Etwas schal.
Abgang: Kurz, aber ein überraschend bitterer Nachbrenner.
Fazit: Ein sehr traditionelles Faro, wie es wohl nur ein Brusseleir runterkriegt - wobei ich zugeben muss, dass selbst ich mich trotz jahrelanger Abhärtung etwas schwer damit tue. Allerdings meinen Respekt für das konsequente Hochhalten einer uralten Biertradition.
Bild: TAQ
Art und Herkunft: Kriek aus Lambiek und Ale, Belgien (Westflandern)
Aussehen und Aroma: Deutlich "bieriger", genügend Kohlensäure, schöne kleine Krone. Säuerliche Kirsche und andere Früchte (Ananas).
Geschmack: Sehr säuerlich und wenig süß. Erfrischend bis adstringierend. Hopfig und tendenziell bitter im Mittelteil. Noten von Apfelrotkohl.
Abgang: Kurz bis mittel. Hopfiger Schluss.
Fazit: Sehr erfrischend, unterscheidet sich (wohltuend) von den üblichen "süßen" Krieks der Massenware.
Gesamtfazit: Sowohl das getestete Faro als auch das Kriek sind definitiv Biere für den Liebhaber, nicht für den leichtfertigen Konsumenten. Insgesamt ist das Kriek von de Ranke etwas einfacher zu trinken. Trotzdem sind beide Produkte empfehlenswert für diejenigen, die einmal wissen möchten, wie belgisches Bier "früher" schmeckte. Beim Besuch in Brüssel doch auf jeden Fall ausprobieren!
Der nächste planmäßige Beitrag erscheint am 13. Juli 2013.