Sonntag, 20. August 2017

Sind so kleine Biere, Teil LVI: St. Louis Gueuze Fond Tradition vs. Chapeau Cuvée Oude Gueuze

Über Geuze (auch Gueuze geschrieben) und verwandte Biere haben wir an dieser Stelle schon oft berichtet; insbesondere Tom hat sich in den letzten Jahren damit hervorgetan. Ich würde aber trotzdem ganz gerne ein paar grundsätzliche Worte über diesen - in Deutschland nicht sehr bekannten - Bierstil verlieren, zumindest für diejenigen, die heute das erste Mal auf unserer Seite sind. Ich mache es auch relativ kurz, bevor ich zur eigentlichen Verkostung komme. Wer schon hinlänglich informiert ist, kann die beiden folgenden Absätze aber selbstverständlich gerne überspringen.

Es beginnt mit Lambiek (oder auch Lambik oder auch Lambic). Dieses Bier entsteht (was früher bei Bieren die Regel, heute aber die absolute Ausnahme ist) durch spontane Gärung. Anders als bei anderen Bieren wird hier vom Brauer keine Hefe zugesetzt, sondern das Bier "infiziert sich" mit wilden Hefestämmen (meistens der Gattung saccharomyces), welche in der Umgebungsluft der Brauerei vorkommen. Diese Hefestämme gibt es in Belgien fast ausschließlich im Tal des Flusses Zenne; Lambiks können aber auch anderswo hergestellt werden (einer unserer Kandidaten heute kommt z.B. aus einer ganz anderen Gegend Belgiens). Die weitere Gärung des Biers (unter anderem mit Hefe der verschiedenen brettanomyces - Stämme) findet in Eichenholzfässern statt, die teilweise einige hundert Jahre alt sein können. Auch hier wird die Hefe nicht zugesetzt, sondern sie befindet sich im Holz. Die entstehende Kohlensäure entweicht durch die Fasswände; reines Lambik sprudelt also nicht. Es ist auch recht sauer. Normalerweise wird es darum auch nicht pur getrunken, sondern weiterverarbeitet. Entweder zu einem der berühmten belgischen Fruchtbiere (nicht zu verwechseln mit einem Biermischgetränk), indem man Früchte und eventuell noch Zucker oder Süßstoffe dazugibt oder auch zu Geuze, einer Mischung verschieden alter Lambiks. In jedem Falle unterzieht man diese Produkte einer Flaschennachgärung, sodass sie dann auch wieder Kohlensäure enthalten. Diese Methode ähnelt der Reifung von Champagner; viele Geuzeflaschen (insbesondere die großen á 0,75 Liter) haben denn auch einen Champagnerkorken.

Geuze wird also nicht gebraut, sondern aus Lambiks verschnitten (der Fachmann spricht hierbei vom "Stechen"). Darum gibt es auch keine Geuzebrauereien, sondern nur Lambikbrauereien (welche dann aus ihren Lambiks Geuze herstellen) und "Geuzestechereien" (geuzestekerijen), welche Geuze herstellen, die Lambiks jedoch von anderen Anbietern ankaufen müssen. Es gibt sehr bekannte Geuzestechereien (u.a. De Cam und Hanssens), aber die heute vorgestellten Biere kommen von "echten" Lambikbrauereien.
Geuze ist, wie Lambik, in ihrem Urzustand sehr sauer und beileibe nicht jedermanns Geschmack. Darum wurden in den letzten 50 Jahren oder so die meisten Geuzen künstlich gesüßt, indem man Zucker oder Süßstoff hinzufügte. Seit etwa einem Jahrzehnt gibt es - wie auch in anderen Bereichen - einen Trend zurück zu mehr Natürlichkeit. Viele Anbieter gehen heute dazu über, neben den etwas gefälligeren Mainstreamprodukten wieder Geuzes (und andere Lambikprodukte) "wie anno dazumal", also ohne Hinzufügen von Zusatzstoffen herzustellen. Im Falle der Geuze spricht man dann normalerweise von Oude Geuze (Alter Geuze), womit aber nicht das individuelle Alter des Produktes (Geuze usw. sind sowieso sehr, sehr lange haltbar, oft mehr als zwanzig Jahre) gemeint ist, sondern eben die Herstellungsmethode. Heute versuchen wir einmal zwei typische Vertreter dieser neuen/alten Gattung.


Der Erste ist das St. Louis Gueuze Fond Tradition von van Honsebrouck. Die Brauerei ist eine der oben angesprochenen Ausnahmen  (die andere ist Omer Vander Ghinste) von der Regel, dass Lambieks nur in der Gegend um Brüssel hergestellt werden können, denn sie liegt in Westflandern. Vor ein paar Jahren wollte man van Honsebrouck aus genau diesem Grund verbieten, seine Lambieks "Lambiek" zu nennen, aber die Justiz ließ es dann letztendlich doch zu. Neben Geuze und ähnlichem produziert der Familienbetrieb (seit dem 19. Jahrhundert) auch eine ganze Reihe anderer Bierstile und -sorten, unter anderem das recht bekannte Kasteel. Neulich hatten wir hier z.B. noch das Barista Chocolate Quad. Für ihre Geuzes und Krieks bietet die Firma heutzutage jeweils (mindestens) eine stromlinienförmige und eine traditionelle Variante an, die immer durch den Namen Fond Tradition gekennzeichnet wird.

Außerdem haben wir heute das Chapeau Cuvée Oude Gueuze von De Troch. Die Brauerei wurde auch schon vor fast 200 Jahren gegründet, gehört aber in unseren Tagen nicht mehr der namensgebenden Familie. Der jährliche Ausstoß an Bier ist sehr bescheiden (4.000 Hektoliter), wenn man ihn mit dem von van Honsebrouck (45.000 hl alleine an Geuze und Kriek) vergleicht, aber De Troch ist dennoch sehr modern orientiert: über 70 Prozent der Produktion gehen ins Ausland. Vielleicht ist das auch der Grund, warum es die Webseite nur auf Englisch (!) gibt? Auf jeden Fall ist das Cuvée Chapeau das einzige traditionelle Produkt der Brauerei. Ansonsten gibt man sich experimentierfreudig und auf die großen internationalen Märkte gerichtet: Lambiek mit Banane, mit Erdbeere, mit Mango, mit ... allem, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.

St. Louis Gueuze Fond Tradition (5,0% Vol.)

Art und Herkunft: Geuze, Belgien (Westflandern).

Besonderheiten: -

Aussehen und Aroma: Goldgelb mit orangefarbenem Schimmer. Trüb mit leichtem Hefeschleier. Fast ohne jegliche Schaumkrone. In der Nase rote Äpfel und Pfirsiche.

Geschmack: Sehr stark moussierend. Sauer, viel weniger fruchtig als gedacht.  Apfelessig. Trocken, lehmig. Essigsaure Tonerde.

Abgang: Mittel, Zitrone.

Fazit/Tipp: Sehr erfrischend und sehr sauer. Wenige Nuancen.


Cuvée Chapeau Oude Gueuze (5,5% Vol.)

Art und Herkunft: Geuze, Belgien (Flämisch-Brabant).

Besonderheiten: -

Aussehen und Aroma: Hellgelb, deutlich klarer als das St. Louis. Ein Geruch von Papaya, Physalis, Weinessig, Erbsensuppe.

Geschmack: Sehr spritzig, sogar überschäumend im Charakter. Extrem sauer, noch einen Schlag mehr als beim St. Louis. In Mineralwasser gelöster Essig. Salz. Zitronensäure.

Abgang: Mittel bis lang. Die Säure steht lange nach.

Fazit/Tipp: Eine noch extremere "traditionelle" Geuze. Sehr hart an der Grenze des Genießbaren, jedenfalls für die meisten Menschen.

Gesamtfazit: Ich weiß nicht so recht, was ich von diesem Bierstil halten soll. Einerseits finde ich ihn sehr spannend und auch (gerade im Sommer) sehr erfrischend. Andererseits ist er dem Durchschnittskonsumenten wirklich sehr schwer zu vermitteln und wird auf absehbare Zeit mit Sicherheit ein Nischenprodukt bleiben. Im direkten Vergleich zwischen dem St. Louis und dem Cuvée Chapeau reizt Letzteres zwar die Grenzen des menschlichen Gaumens noch etwas weiter aus, dennoch komme ich in der Gesamtschau auf ein Unentschieden. Beides sind Biere, die den Aficionado (und nur ihn) reizen werden. Ihre Kompromisslosigkeit hat allerdings auch einen Preis: irgendwelche Zwischentöne haben sie eigentlich kaum zu bieten.

Der nächste planmäßige Beitrag erscheint am 27. August 2017.

- Euer Jan B.






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