Samstag, 20. September 2014

Berry Bros. & Rudd Speyside Reserve NAS vs Islay Reserve NAS

Es ist ein kühler, nebliger Vormittag in London (neblig nicht wirklich, ich habe eben bei wetter.com nachgeschaut, aber es macht sich erzählerisch einfach besser). In etwa einer halben Stunde wird es zu regnen beginnen. Gerade eben haben wir uns noch in der Patisserie Valerie am Piccadilly ein Stück Mille-Feuille und eine schöne Tasse espresso doppio genehmigt, nun treten wir aus der Tür, schlagen den Kragen unseres Trenchcoats (natürlich von Burberry) hoch und gehen zügig die St. James's Street hinunter, in Richtung Pall Mall. In wenigen Schritten erreichen wir die vornehmen, aber doch recht modernen Geschäftsräume von Justerini & Brooks in Nummer 61. Länger verweilen wollen wir hier heute allerdings nicht, denn ein anderes Geschäft hat uns schon längst in seinen Bann geschlagen, und dazu müssen wir noch ganz bis zum Ende der Straße laufen. Vielleicht schauen wir nachher noch im Carlton Club vorbei, sofern wir uns an das geheime Türpasswort erinnern können, aber auch das wird warten müssen. Nach ein bis zwei weiteren Minuten sind wir endlich dort angekommen, wo wir hinwollten: Nummer 3, St. James's Street, St. James, London. Das Stammhaus eines der ältesten noch existierenden Wein- und Spirituosenhändler Großbritanniens (als diese Zeilen geschrieben werden, findet gerade die Abstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands statt), Berry Brothers & Rudd (BBR), established 1698 und noch immer in den gleichen Lokalitäten. Nachdem wir die original erhaltene Fassade und geschmackvoll arrangierten Auslagen genügend gewürdigt haben, treten wir ein. Hölzerne Bodendielen, poliert vom Geschäftsverkehr der Jahrzehnte. Dunkle Holzregale und -theken. Im Spirit Room, wo die Spirituosen lagern, dunkelgrüner Teppich. Ein distinguiert aussehender Herr (und Angestellter) würdigt uns kaum eines Blickes, denn wir sind - wie immer - underdressed. Egal, hier finden wir uns auch so zurecht.


Die Firma wurde zwar ursprünglich von einer Mrs. Bourne gegründet, befindet sich aber seit 1810 im Besitz der heutigen Eigentümer, der Familie Berry. Der zweite Teil des Namens, die Compagnie sozusagen, kam erst in den 1940ern hinzu, nach dem Eintritt des Teilhabers Hugh Rudd. Das Hauptgeschäft liegt wie ehedem beim Verkauf von Weinen und Spirituosen aller Art (man wird im Ladengeschäft auch stinknormale Scotchs, dennoch mit einem erkennbaren Preisaufschlag versehen, finden), jedoch ist BBR auch ein sehr wichtiger unabhängiger Abfüller. Auch wenn es hier um zwei Whiskys aus dem Hause gehen wird, tut jeder Kenner gut daran, daran zu denken, dass unter dem Firmensignet auch z.B. hochwertige Cognacs und Rums herausgebracht werden. Im Whiskysegment ist der Blended Malt namens Blue Hanger seit Jahrzehnten eine feste Größe, hat allerdings aber auch einen mehr als stolzen Preis. Im übrigen werden die Eigenabfüllungen in der Regel unter dem Namen Berrys' Own oder Berrys' Own Selection verkauft.

Die Flaschen, die ich heute vorstelle, habe ich Anfang 2013 in der Londoner Zentrale erstanden; diese sind mittlerweile leider ausgelistet, waren aber - mit knapp 40 Pfund pro Flasche - damals (für BBR-Verhältnisse) ein Schnäppchen.


Berrys' Speyside Reserve NAS (46% Vol.)

Art und Herkunft: Blended/Vatted Malt, Speyside

Aussehen und Aroma: Dunkles Gelb, frisches Stroh. Ziemlich feine Nase: frisches Gras, Eiche, etwas Vanille. Im Hintergrund ein wenig Ethanol und Backpulver.

Geschmack: Seidig und weich. Vollsüß: Nougat und Vollmilchschokolade.

Abgang: Mittel bis lang. Etwas trocken. Eine gewisse Restschärfe ist feststellbar. Pfirsichduft.

Fazit: Das Aroma überzeugt nicht zu 100 Prozent, der Geschmack ist aber um Längen schöner und vielseitiger. Dennoch kein "ganz großer" Blended Malt.


Berrys' Islay Reserve NAS (46% Vol.)

Art und Herkunft: Blended/Vatted Malt, Islay

Aussehen und Aroma: Hellgelb. Kräftiger Torf. Pferdestall, Sattel, Lederfett. Etwas Honig? Nuancen von Heidekraut und Kamille.

Geschmack: Überraschend mild zuerst, dann pfeffrige Schärfe und Trockenheit. Stein, Schiefer, Erde. Süß.

Abgang: Lang und erdig. Torfig und heiß.

Fazit: Sehr schön gemacht. Anspruchsvoll, aber nicht belastend. Mit einem Schuss Wasser ist er etwas milder, aber noch erdiger. Ein Whisky wie Urlaub auf dem Bauernhof.

Gesamtfazit: Obwohl beide gleich teuer waren, ist der Islay definitiv der bessere Whisky. Nicht, weil er von Islay ist, sondern weil er stimmiger und konsequenter komponiert wurde. Für ihn würde ich - wenn es ihn noch gäbe - wohl noch einmal das selbe Geld ausgeben. Der Speyside wäre mir jedoch, nach dem, was er leistet, für ein zweites Mal zu teuer.

Der nächste planmäßige Beitrag erscheint am 27. September 2014.

- Euer Tomas Aquinas


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